Psychosoziale Arbeit in der Nachsorge: „Manche Schicksale sind schwer auszuhalten“

Seit 2004 leistet SeeYou Sozialmedizinische Nachsorge nach dem Modell Bunter Kreis. Im Interview mit der Diplom-Pädagogin Daniela Raap sprechen wir über ihre Arbeit im Nachsorgeteam von SeeYou, ihren Umgang mit schweren Schicksalen und ihre Wünsche. 

Was genau ist Deine Aufgabe im Team der Sozialmedizinischen Nachsorge?
Meine Stelle wurde in 2019 neu geschaffen und ich musste meinen Platz erst mal finden. Es hat sich schnell gezeigt, dass es von Vorteil ist, eine feste Ansprechpartnerin auf Station zu haben. An der Schnittstelle von Psychosozialem Dienst, dem medizinischen Personal und dem Nachsorgeteam von SeeYou ist es meine Aufgabe, alle Erstgespräche mit den Familien zu führen, die für die Sozialmedizinische Nachsorge in Frage kommen. Das sind z.B. Familien, deren Kinder bis zur 32. Woche geboren wurden oder unter 1500 g liegen, also die Frühchen. Aber auch Familien mit chronisch- und schwerstkranken Kindern haben Anspruch auf diese Leistung – bis zum 14. Lebensjahr, in Ausnahmefällen auch länger. Im ersten Gespräch mit den Eltern lässt sich auch sehr früh erkennen, ob ein psychosozialer Unter-stützungsbedarf besteht. Liegt dieser vor, stimme ich mich mit unserer Psychologin ab und übernehme auch Hausbesuche. 

Wie erfährst Du von den Familien und wie nimmst Du Kontakt auf?
Ich nehme regelmäßig an den wöchentlichen Visiten im Marienkrankenhaus und auf den Stationen 1 und 5 im Kinderkrankenhaus Wilhelmstift teil. Bei der Chefarztvisite im Marien-krankenhaus besprechen wir z.B. gemeinsam mit dem ärztlichen Personal, dem Psychosozialen Dienst, einer Kinderkrankenschwester und Physiotherapeuten alle Kinder, die auf Station sind. Dabei liegt der Fokus nicht nur auf den medizinischen Aspekten, sondern es werden auch die psychosozialen Fragen thematisiert, also, was braucht die Familie und ist das ein Kind, das SeeYou mit Sozialmedizinischer Nachsorge unterstützen kann. Wenn ich dann noch im Krankenhaus zu den Familien gehe, haben diese im besten Fall bereits über den Psychosozialen Dienst oder vom Arzt von SeeYou gehört und kennen ihren Anspruch. Ich bespreche dann mit den Eltern individuell Dauer und Termine und melde diese für die Nachsorge an. Daneben erhalte ich auch viele spontane Anrufe von anderen Stationen. Da ich viel vor Ort bin, kann ich schnell darauf reagieren und gleich mit den Familien sprechen.

Was ist das Besondere an Deiner Arbeit?
Die Arbeit in der Sozialmedizinischen Nachsorge ist sehr interdisziplinär. Wir alle gehen mit unterschiedlichen Sichtweisen an die Familien heran. Ich kann z.B. nicht beurteilen, ob ein Kind medizinisch gesund ist, aber meine Ausbildung zur Diplom-Pädagogin hilft mir dabei, sehr früh den psychosozialen Bedarf zu sehen. Durch gezieltes Fragen bekomme ich schnell heraus, welche Form der Nachsorge gebraucht wird und kann den Übergang ins häusliche Umfeld vorbereiten – das entlastet meine Kolleginnen und es bleibt mehr Zeit für Hausbesuche. 

Dank der Nachsorge erreichen wir viele Familien, die ansonsten keine Unterstützung in Anspruch genommen hätten oder erst sehr viel später. Im Gespräch fallen Dinge auf, in einigen Fällen muss das Jugendamt eingeschaltet werden, wenn Verdacht auf Kindeswohlgefährdung besteht, und Weichen können gestellt werden. Manchmal wiederum ist gar nicht so viel nötig, dass es am Ende der Familie besser geht. Auch lehnen einige Familien die Nachsorge ab, weil sie entweder anderweitig Unterstützung haben, z.B. innerhalb der Familie, oder weil sie nicht möchten, dass eine Nachsorgeschwester zu ihnen nach Hause kommt – das Angebot ist ja freiwillig. Für fast alle Familien aber wirkt unsere Nachsorge stabilisierend und ist fruchtbar. 

Wie gehst Du mit Schicksalen um?
Mich bewegt alles, aber ich habe das Glück, mich gut abgrenzen zu können, auch wenn dies natürlich nicht immer leicht ist. Ich habe lange Zeit in der Familienhilfe gearbeitet und konnte mir ein gutes System aufbauen. Ich versuche, den Fokus bei den Eltern zu halten und ihnen die bestmöglichen Unterstützungsbedarfe aufzuzeigen. Damit helfe ich auch den Kindern. Manche Schicksale sind schwer auszuhalten, z.B. wenn ein Kind stirbt oder Kinder über einen langen Zeitraum von ihren Eltern getrennt auf Station liegen, denn nicht alle Eltern können oder wollen bei ihren Kindern sein. Das kann ganz unterschiedliche und auch ganz verständliche Gründe haben, z.B. wenn das Elternteil alleinerziehend ist oder Geschwisterkinder zu versorgen sind. Einmal haben wir eine Familie aus Syrien betreut, deren 12 Jahre alter Junge schwer behindert war und mit Krampfanfällen ins Wilhelmstift kam. Mit weiteren drei Geschwistern hat die Familie in einer Flüchtlingsunterkunft auf engstem Raum zusammengelebt. Es fehlte an allem und die ganze Familie war an das Kind gebunden, das noch nicht einmal einen Rollstuhl hatte. Da war so viel Bedürftigkeit und wir konnten subjektiv gefühlt viel zu wenig machen.

Gibt es etwas, das Du gerne verändern möchtest?
Da fällt mir die Traumatisierung der Kinder als klassisches pädagogisches und psychologisches Feld ein. Die Kinder sind so wehrlos! Durch den langen Aufenthalt auf Station kann es bei einigen Kindern auch zu Fütterstörungen oder Bindungsstörungen kommen und ich würde mir wünschen, dass dieses Beratungsfeld noch stärker in den Fokus rückt.

Das Interview führte Anika Firus

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