Trotz überzeugender Forschungsergebnisse zur Effektivität und Effizienz von Frühen Hilfen gelingen Früherkennung und Intervention in der Praxis noch nicht hinreichend. Das Programm Babylotse verfolgt eine Systematisierung der Überleitung von Familien aus dem Gesundheitssystem heraus in das Netz der Frühen Hilfen und andere soziale Sicherungssysteme. Kern ist die Lotsenfunktion zum Finden und Nutzen der passenden Einrichtungen und Hilfen.
Hintergrund
Der Selektivvertrag zwischen der AOK Rheinland/Hamburg und SeeYou wurde 2023 als Weiterentwicklung des Innovationsfondsprojekt KID-PROTEKT (kindzentrierten psychosozialen Grundversorgung im ambulanten Sektor) geschlossen. Die Ergebnisse dieses abgeschlossenen Innovationsfondsprojektes finden Sie hier.
Ziel des Selektivvertrages ist das systematische Erkennen und Überleitung von Familien mit Unterstützungsbedarf aus Frauen- sowie Kinderarztpraxen heraus in das Netz der Frühen Hilfen und andere soziale Sicherungssysteme.
Der Selektivvertrag KID-PROTEKT zeichnet sich durch eine geteilte Finanzierung aus. Hierbei übernimmt die AOK Rheinland/Hamburg im Rahmen der psychosozialen Anamnese die Vergütung der in den Arztpraxen erbrachten Leistungen für Ihre Versicherten. Die Sozialbehörde Hamburg finanziert die Personalressource Babylotse und sorgt damit dafür, dass die psychosoziale Grundversorgung allen Frauen und Familien der teilnehmenden Praxen zugute kommt. Teilnehmen können bis zu 24 Frauen- und Kinderarztpraxen in Hamburg.
Umsetzung im Praxisalltag
Das systematische Erkennen von psychosozialen Belastungen und Überleiten von Familien mit Unterstützungsbedarf aus dem Gesundheitssystem heraus in das Netz der Frühen Hilfen und andere soziale Sicherungssysteme gelingt durch die Zusammenarbeit von speziell geschultem Praxispersonal zu „Frühe Hilfen in der Arztpraxis“ und den Babylotsinnen.
Durch das Austeilen des Anhaltsbogens als validiertes Screening-Instrument durch das Praxispersonal werden nicht-stigmatisierend individuelle Unterstützungsbedarfe der Familien erkannt. Die Klärung des konkreten Belastungsniveaus sowie der Ressourcensituation der Familie erfolgt im Anschluss an einen auffälligen Anhaltsbogen in Form eines Orientierenden Gespräches durch das geschulte Praxispersonal sowie einer Überleitung in passende lokale Hilfsangebote. Besteht ein komplexer oder intensiver Unterstützungsbedarf erfolgt eine Überleitung an die Babylotsin als (sozial)pädagogische Fachkraft, die jeder teilnehmenden Praxis zur Verfügung steht. Ergänzt wird dieser Prozess durch das Angebot einer festen Lotsensprechstunde vor Ort in den Praxen. Durch dieses besondere Versorgungsangebot soll eine gesunde Kindesentwicklung trotz bestehender psychosozialer Belastungssituationen in den Familien gefördert werden.
Lotsenprozess - Erfahrungen aus KID-PROTEKT
Erkennen
- Sehr gute Erreichbarkeit und hohe Akzeptanz der Zielgruppe: Teilnahmeraten bis zu 97% in der neuen Versorgungsform
- Bedarf an psychosozialer Beratung vorhanden: ca. ein Drittel aller Patientinnen ist belastet
Klären
- Kombination aus Screening und Gespräch erlaubt individuelle Bedarfseinschätzung und Dokumentation: Etwa die Hälfte der belasteten Familien hat einen intensiven Unterstützungsbedarf
- Umsetzung praktikabel im Versorgungsalltag: 87% der Gespräche führten geschulte medizinische Fachkräfte
Vernetzen
- Hinweis auf Versorgungslücke in der Regelversorgung: Anteil weitergeleiteter unterstützungsbedürftiger Familien ist 3x so hoch wie in der Regelversorgung
- Deutliche qualitative Unterschiede zwischen den Varianten in der Art der Weiterleitungen: Überleitungen fanden in der lotsengestützten Variante um ein Vielfaches (fast 16x) häufiger statt
Ausblick
Der Selektivvertrag KID-PROTEKT zeigt nach einem Jahr erste Erfolge und einen vielversprechenden Ansatz auf, wie eine gemeinsame Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung und Kommune aussehen kann. Damit ist dieses Modell eine Blaupause dafür, wie eine Regelfinanzierung der psychosozialen Grundversorgung in Frauen- und Kinderarztpraxen aussehen kann.